Gewaltschutz im inklusiven Wohnen - Gäste: Mira Ikemefuna, Milena Buhl
Shownotes
In einem inklusiven Wohnprojekt soll sich jeder wohlfühlen und sicher sein, dass die eigenen Grenzen gewahrt werden. Deshalb ist es wichtig, ein Gewaltschutzkonzept zu entwickeln.
Mit meinen beiden heutigen Gästen klären wir zunächst die Grundlagen: Warum ist Gewaltschutz für Menschen mit Behinderungen besonders wichtig? Und was bedeutet eigentlich das Wort „Ableismus“?
Im Anschluss stellen wir Dir zwei praktische Hilfestellungen vor, mit denen Du ein Schutzkonzept erstellen kannst: Ein Risikoanalyse-Tool für Einrichtungen der Behindertenhilfe und unseren neuen Leitfaden für Gewaltschutzkonzepte im inklusiven Wohnen.
Wo Du die beiden Tools erhalten kannst, verraten wir Dir am Ende der Folge!
Transkript anzeigen
Willkommen im Miteinander – der Podcast zu inklusivem Wohnen
Folge 7: Gewaltschutz im inklusiven Wohnen
Gäste: Mira Ikemefuna, Milena Buhl
[Kati]
Willkommen im Miteinander, der Podcast zu inklusiven Wohnen.
In einem inklusiven Wohnprojekt soll sich jeder wohlfühlen und sicher sein, dass die eigenen Grenzen gewahrt werden. Deshalb ist es wichtig, ein Gewaltschutzkonzept zu entwickeln.
Mit meinen beiden heutigen Gästen klären wir zunächst die Grundlagen: Warum ist Gewaltschutz für Menschen mit Behinderungen besonders wichtig? Und was bedeutet eigentlich das Wort „Ableismus“?
Im Anschluss stellen wir Dir zwei praktische Hilfestellungen vor, mit denen Du ein Schutzkonzept erstellen kannst: Ein Risikoanalyse-Tool für Einrichtungen der Behindertenhilfe und unseren neuen Leitfaden für Gewaltschutzkonzepte im inklusiven Wohnen.
Wo Du die beiden Tools erhalten kannst, verraten wir Dir am Ende der Folge!
Hallo Mira, hallo Milena. Wir sprechen heute über ein Thema, das generell sehr wichtig ist, insbesondere aber auch beim inklusiven Wohnen, nämlich Gewaltschutz. Wollt ihr euch mal selber vorstellen?
[Mira]
Hallo, ja gerne. Also mein Name ist Mira Ikemefuna. Ich arbeite bei WOHN:SINN im Resilienzprojekt.
Nebenbei bin ich auch rechtliche Betreuerin und ich habe früher bei Inklusivwohnen Köln gelebt, drei Jahre. Und dort im Nachhinein, als ich ausgezogen bin, auch das Gewaltschutzkonzept mit erstellt und bin damit zum Thema Gewaltschutz gekommen.
[Milena]
Ja, hallo auch von meiner Seite aus. Mein Name ist Milena Buhl. Ich bin Sozialarbeiterin im Bachelor und Master und ich arbeite als wissenschaftliche Mitarbeiterin bei der dualen Hochschule Baden-Württemberg in Stuttgart.
Und dort haben wir geforscht in einem Projekt, das hieß Schuhkopf. Und dort haben wir die Gelingensbedingungen für Gewaltschutz in Einrichtungen untersucht. Und im Rahmen von dieser Forschung habe ich meine Masterarbeit damals geschrieben und habe eine partizipative Forschung gemacht, bei der wir eben ein Risikoanalyse Tool entwickelt haben, von dem ich auch heute erzählen werde.
Genau. Gleichzeitig bin ich gerade noch in der Praxis tätig, in der stationären Kinder- und Jugendhilfegruppe. Genau.
Früher habe ich viel in der Eingliederungshilfe gearbeitet und aktuell forschen wir auch jetzt in einem neuen Projekt schon wieder zum Thema inklusive Kinder- und Jugendhilfe.
[Kathi]
Danke euch. Zu dem partizipativ entwickelten Tool, da werden wir später noch genauer kommen. Zuerst schauen wir uns aber mal das Projekt an, in dessen Rahmen wir uns gerade bewegen.
Und zwar, Mira, es geht um unser einjähriges Resilienz-Projekt bei Wohnsinn. Was kann man sich denn unter dem Projekt vorstellen?
[Mira]
Wie du schon gesagt hast, es ist eine einjährige Förderung von der Deutschen Stiftung für Engagement und Ehrenamt. Und zwei weitere Kolleginnen und ich haben da die Möglichkeit, zu Themen uns, ja, nicht unbedingt zu forschen, aber weiter zu bilden, die für die Resilienz im inklusiven Wohnen wichtig sind. Mit Resilienz meinen wir, das sind Themen, die dann wichtig werden, wenn diese ganzen Fragen wie, wie gründe ich eine WG, wie stelle ich es erstmal auf die Beine oder muss ja keine WG sein, aber wie gründe ich eine Wohnform, wie stelle ich sie auf die Beine, geklärt sind und man dann so in der Praxis ist, sind uns unter anderem diese drei Themen, auf die wir uns fokussiert haben, aufgefallen.
Die anderen beiden Kolleginnen befassen sich mit Alterung und Tod, Selbstbestimmung und ich eben mit Gewaltschutz. Ich glaube, zu den anderen zwei wird es ja auch noch hier eine Podcast-Episode im Feed geben. Genau.
Und das sind einfach drei Themen, die immer wieder in der inklusiven Praxis aufkommen und wo wir gemerkt haben, dass es da einfach mehrfachliche Expertise gibt, um denen gut begegnen zu können.
[Kathi]
Und gerade zum Thema Gewalt an Menschen mit Behinderung hat es ja in den letzten Jahren immer wieder Fälle gegeben und es sind in den Medien thematisiert worden. Oftmals aber auch nur von Menschen mit Behinderung selbst thematisiert worden. Vielleicht kennt der ein oder andere den Hashtag Abelismus tötet.
Der ist auf Instagram ja zum Beispiel mal ganz schön abgegangen. Daran sieht man eben, wie wichtig Gewaltschutz ist. Ja, warum würdest du sagen, ist er besonders wichtig?
[Mira]
Ja, absolut. Ich habe im Vorhinein vor der Podcast-Aufnahme auch noch mal auf die Internetseite von Abelismus tötet geguckt. Das kann ich auch jedem nur empfehlen, sich mit dem Forschungsprojekt auseinanderzusetzen.
Die machen wirklich ganz tolle Arbeit und wir haben alleine aktuell schon 218 Fälle ausrecherchiert von Gewaltfällen, die sich belegen lassen und man möchte sich gar nicht vorstellen, wie groß die Dunkelziffer ist. Dieses Jahr ganz zeitlich passend zum Beginn der Recherche im Resilienzprojekt kam auch eine relativ große Studie vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales raus, das noch mal auch wirklich sehr erschreckend hohe Zahlen zur Gewaltbetroffenheit von Menschen mit Behinderung veröffentlicht hat. Also wir sprechen von einer Hälfte der Befragten in stationären Einrichtungen, die berichten, schon körperliche Gewalt erlebt zu haben.
Sogar zwei Drittel, die von psychischer Gewalt, von psychischen Gewalterfahrungen berichten. Und natürlich ist die stationäre Eingliederungshilfe nicht das Gleiche wie inklusive Wohnformen. Allerdings gibt es, sind das die einzigen Einrichtungen, wozu es mittlerweile endlich kann man auch sagen, weil es sehr lange keine verlässlichen Daten gibt.
Und dort gibt es jetzt verlässliche Daten. Deswegen ziehen wir die gerne heran. Aber an sich, egal wo man hinguckt, entdeckt man Gewalt leider.
Deswegen muss man leider davon ausgehen, dass alle Menschen mit Behinderung oder Menschen mit Behinderung in allen Bereichen, sei es jetzt stationär oder ambulant, einfach einer höheren Gewaltbetroffenheit ausgesetzt sind als Menschen ohne Behinderung.
[Kathi]
Und deswegen gibt es Gewaltschutzkonzepte. Was sind denn die Ziele davon?
[Mira]
Gewaltschutzkonzepte an sich sind im Paragraf 37a SGB IX festgehalten für die Eingliederungshilfe, beziehungsweise für stationäre Wohnformen, aber nur sehr unbestimmt. Also das heißt, dass man ein geeignetes Gewaltschutzkonzept vorhalten soll. Da steht ja jetzt noch nicht viel hinter.
Aber wenn man sich damit tatsächlich auseinandersetzt und ein Konzept nicht nur hat, damit man irgendwas geschrieben hat und schon mal hypothetisch über Gewalt nachgedacht hat, sondern sich tatsächlich Gedanken darüber gemacht hat, was braucht denn meine Wohnform? Was brauchen wir denn, um gut gemeinsam leben zu können, um grenzachtend miteinander leben zu können? Dann kann ein Gewaltschutzkonzept ein total guter Anker sein oder eine Leitlinie, an der man sich entlanghangeln kann, an der man das tägliche Leben so gestalten kann und irgendwie festhält, wie wollen wir gemeinsam leben?
Was wollen wir nicht? Und was sind die Maßnahmen, die wir ergreifen, um so respektvoll, grenzachtend miteinander zu leben, wie wir es uns wünschen?
[Milena]
Ich würde da gerne noch hinzufügen, dass das auch, also ich spreche jetzt von dem Kontext eben auch Einrichtungen, also stationäre Einrichtungen zum Beispiel, aber auch ambulante Einrichtungen. Das ist einfach auch ganz wichtig, dass man Gewaltschutzkonzepte auch als Organisationsentwicklungsprozesse versteht. Das haben wir auch in unserer Forschung eben gemerkt.
Und das belegt auch die Literatur, also dass auch ganz klar sein muss, in diesen Konzepten, dass dort festgehalten ist, wer hat denn auch welche Zuständigkeit? Wer ist in welcher Rolle? Und eben auch solche Dinge geregelt sind, wie wofür stehen wir denn auch als Einrichtung?
Was ist unsere Vision? Was ist unser Leitbild? Um das eben abzurunden, wie positionieren wir uns und wie arbeiten wir mit den Menschen, die hier wohnen, arbeiten oder wie auch immer?
[Kathi]
Gewalt kann ja immer leicht dort entstehen, wo es Machtgefälle gibt. Also das ist ja eine ganz pauschale Sache. Und bei inklusiven Wohnformen, da denkt man ja immer, es ist alles auf Augenhöhe.
Aber ich glaube, auch da sind Gewaltschutzkonzepte sehr wichtig. Das hast du ja auch rausgefunden, Mira. Warum ist es da auch besonders wichtig, dass man sowas erstellt?
[Mira]
Ich denke, inklusive Wohnformen haben einfach die Besonderheit, dass dort noch mal mehr Akteure zusammenkommen, also noch mal mehr Interessen, die gewahrt werden müssen. Mehr Personen, mehr Personengruppen bedeuten aber natürlich auch mehr Risiko. Also überall, wo es komplexer wird, kommen auch mehr Risikofaktoren dazu.
Ich denke aber generell, dass inklusives Wohnen insbesondere eine große Chance bietet, weil dort eben Menschen zusammenkommen, die erst mal das gemeinsame Ziel haben. Wir wollen hier inklusiv leben. Wir wollen hier auf Augenhöhe leben.
Wir wollen Teilhabe ermöglichen über das, was in der klassischen Eingliederungshilfe möglich ist. Und ich denke, das ist ein Potenzial, das man auf jeden Fall nutzen sollte. Und natürlich, wenn Menschen, die sich vielleicht davor noch nie mit Themen wie Paternalismus, Bevormundung und so auseinandergesetzt haben, einfach mit sehr guten Intentionen, aber nicht aufgeklärt über solche Themen in ein Wohnkonzept hereinkommen, kann es zu ungewollten, ja, ungewollten Übergriffe und ungewollten, ich will es noch nicht Gewalt nennen, aber auf jeden Fall ungewollten Grenzüberschreitungen kommen.
Und genau das ist mir auch wichtig, dass Gewaltschutz nicht unbedingt nur heißt, okay, wir müssen uns schützen vor bösen Tätern, die gezielt irgendwo reinkommen und gewaltvoll handeln. Das auf jeden Fall auch. Aber es geht auch darum, einfach zu sensibilisieren für, wie muss ich mich denn verhalten, damit das, wie ich leben möchte, tatsächlich so umgesetzt wird.
Weil ich glaube, dass sehr viele Menschen mit sehr guten Intentionen, gerade wenn sie gewohnt sind und trotzdem etwas an die Hand brauchen, um dann diese Intention auch in die Realität umsetzen zu können.
[Kathi]
Und ich denke, Grenzen, die du gerade angesprochen hast, die sind ja immer sehr subjektiv. Die fangen ja für jeden woanders an. Und da muss man auch erst mal, glaube ich, ein Bewusstsein bei allen Akteur:innen schaffen.
Was ist die Grenze überhaupt? Und wenn man einmal an die Grenze geht, das ist ja noch kein Problem, weil man weiß es ja vielleicht einfach nicht besser. Aber wenn man dann das zweite Mal und das dritte Mal so, dann geht es schon eher wieder Richtung Gewalt eigentlich.
Genau. Führt uns so ein bisschen zu dem Thema, was ist Gewalt eigentlich? Wo fängt sie an?
Es gibt ja unterschiedliche Arten von Gewalt.
[Mira]
Ja, auf jeden Fall. Also ich denke, ganz klassisch, habt ihr das schon mal von körperlicher oder psychischer Gewalt gehört. Mir ist wichtig, auch immer die institutionelle Gewalt anzusprechen, als immer dann, wenn einfach die Strukturen einer Institution so ausgestaltet sind, dass sie einzelne Personen in ihren Rechten einschränken oder Druck ausüben. Und wie du schon gesagt hast, es gibt ganz verschiedene Arten von Grenzüberschreitungen.
Also ich nenne es immer, es gibt einmal eine Grenzverletzung, die vielleicht noch unbewusst passiert und die schon weh tut, die unangenehm ist, aber die ja keine bösartige oder die keine Handlung war mit einer bösen Absicht. Und dann kann es natürlich auch eine ganz bewusste Grenzüberschreitung geben, nachdem es schon mal kommuniziert wurde. Und da braucht es einfach Mechanismen, um das im Keim zu ersticken und schon im Keim Grenzen zu wahren.
Das heißt, es müssen Mechanismen greifen. Es muss eine Haltung vorhanden sein, in der ich weiß, okay, wenn meine Grenze verletzt wird, dann kann ich das äußern und sie wird auch gehört bzw. wenn meine Grenze aktiv überschritten wird, dann muss es nicht erst ein ganz großes oder etwas strafrechtlich Relevantes sein, sondern dann reicht es, dass ich schon mal gesagt habe, hey, hier ist eine Grenze von mir und wir haben uns darauf geeinigt, dass Grenzen geachtet werden.
[Kathi]
Das ist, glaube ich, total wichtig, weil eben eine inklusive Wohnform oder auch eine institutionelle Wohnform, das ist ja das Zuhause von den Leuten. Und da ist es ja besonders wichtig, dass eben die Grenzen gewahrt werden, dass sich jeder auch wirklich zu Hause fühlen kann. Welche Faktoren, würdest du sagen, begünstigen Gewalt?
[Mira]
Ja, genau. Du hattest gerade schon Machtgefälle angesprochen. Das auf jeden Fall, fehlende Aufklärung, würde ich auf jeden Fall sagen, auf allen Seiten, also sowohl Menschen vielleicht ohne Behinderung. Ich kenne es aus der WG, in der ich gelebt habe, da sind es Studierende, die, also das meine ich jetzt gar nicht unbedingt insbesondere in Bezug auf die WG, sondern generell ist es, denke ich, ein Phänomen, dass man als junger Mensch sehr motiviert in so ein Projekt reingeht und die besten Intentionen hat.
Aber wie ich eben schon so beispielhaft gesagt habe, bleibt einfach nicht aufgeklärt, dass über Mechanismen von Ableismus, über Mechanismen von Parternalismus und da dann Handlungsweisen reproduziert, die man eigentlich ablehnen würde, wenn man sich damit auseinandergesetzt hätte. Deswegen insofern fehlende Aufklärung, aber auch Aufklärung so im eigentlichen Sinne, woran man denkt, kenne ich denn überhaupt meine Rechte? Bin ich aufgeklärt über die Rechte, die ich habe?
Bin ich aufgeklärt über Sexualität und kann ich Dinge benennen, wenn sie vorkommen? Weil man kann kein, also wenn man nicht weiß, welche Rechte man hat, wenn man nicht weiß, was Gewalt ist, dann kann man es auch nicht benennen, wenn es einem passiert. Und ich denke, das ist auf jeden Fall ein großer begünstigender Faktor, dass viele Menschen mit Behinderung in ihrer Schulzeit weniger Aufklärung erfahren haben, als es vielleicht an Regelschulen stattfindet.
Wobei ich auch sagen muss, an Regelschulen ist ja auch sehr dürftig teilweise. Ich glaube, einfach ein sehr großes Tabu rund um das Thema Gewalt. Und auch, ja, das kennt man ja einfach, dass es schambehaftet ist, über Dinge zu reden, die meine Grenzen irgendwie betreffen.
Das ist in allen Bereichen so. Und ich denke, noch mehr dort, wo Menschen vielleicht nicht die Möglichkeit haben, sich über Social Media oder so selbst aufzuklären, sondern darauf angewiesen sind, dass vielleicht Fachkräfte oder generell ihr Umfeld, das auf dem Schirm hat, das aktiv an sie heranzutragen.
[Kathi]
Ja, genau. Und nicht nur die Aufklärung, sondern auch das Empowerment. Weil ich als selbstbehinderter Mensch kenne es so ein bisschen, dass ich manchmal das Gefühl habe, ah nee, ich spreche das jetzt lieber nicht an, weil ich möchte ja später noch, dass die Person das und das für mich tut.
Einfach, weil ich keine andere Option habe. Weil es muss sein, sonst schaffe ich mein Ziel nicht. Deswegen glaube ich, ist es besonders wichtig eben, dass man da auch nochmal die Leute selbst befähigt, einfach.
[Mira]
Genau, also meine Perspektive auch in der Erstellung von dem Leitfaden war sehr auf die Arbeit bezogen mit Menschen mit sogenannten geistigen Behinderungen oder mit Lernschwierigkeiten, damit dort man immer wieder die Möglichkeit nutzt, sich zu reflektieren, um das geeignete Setting zu setzen, damit Empowerment für alle Menschen ermöglicht wird.
[Kathi]
Ich merke gerade, also meine nächste Frage ist eigentlich, wann funktionieren Gewaltschutzkonzepte? Weil man kann, ja jetzt nicht einfach losgelöst irgendein Konzept erstellen und das funktioniert für alle Einrichtungen gleich und die schlüpfen wir jetzt da drüber und dann fühlen sich alle wohl, gleichzeitig damit einhergeht, dass wir jetzt gerade schon ziemlich viele Fachbegriffe benutzt haben, sowas wie Ableismus, Ableismus und Paternalismus. Und da fängt es schon an, dass, glaube ich, viele Leute gar nicht so genau wissen, was ist das eigentlich?
Vielleicht könnt ihr es einfach mal kurz erklären.
[Mira]
Ja, also Ableismus, Abelismus, je nachdem ob man es auf Englisch oder Deutsch ausspricht, genau, ich weiß es auch nicht mehr, bezeichnet eine Diskriminierungsform, die sich spezifisch gegen Menschen mit Behinderung richtet. Das heißt, die Diskriminierung richtet sich gegen die Behinderungsmerkmale. Oder ja, als Paternalismus, also man hört ja schon die Ableitung von Pater, ist so eine, ja, eigentlich elterliche, erklärende oder bevormundende Haltung, die zwar gut gemeint ist, aber natürlich übergriffig ist oder sein kann.
Denn Paternalismus bezeichnet es immer, wenn es dann übergriffig ist, wenn man eben eigentlich kein Verhältnis hat, in dem eine so, ja, von oben herab elterliche, ja, Vermundung angebracht wäre.
[Milena]
Genau, und ich finde dazu ist auch einfach noch ganz wichtig zu sagen, dass es hier von großer Bedeutung ist, sich dessen eben auch bewusst zu sein, wann und wie sprechen wir über Menschen und wann machen wir sie eben auch klein. Und das geht ja auch total in diese Richtung. Ja, und generell finde ich es auch sehr spannend, dass du jetzt gerade auch noch mal so diese Frage aufgeworfen hast, Kati, weil ich habe vorher auch daran gedacht, auch hier, also oder auch im Kontext von Gewalt muss man ja drüber nachdenken, wie sprechen wir auch über die Dinge und wer spricht über die Dinge?
Also eben auch so diese Gewalt des Wissens. Also wer hat auch die Definitionsmacht zu definieren, wer eine Behinderung hat und wer nicht? Also wer auch der Norm angehört und wer nicht?
Und das ist auch, finde ich, noch mal so ein großes Thema, das so ganz basal ist, auch in diesem ganzen Kontext von Gewalt. Wie sprechen wir darüber und wer spricht darüber und für wen ist das Wissen dann auch zugänglich?
[Kathi]
Und wer muss auch unbedingt mitsprechen? Zum Beispiel auch bei so einem Schutzkonzept eben. Im Vorgespräch hat mir die Mira gesagt, ein Gewaltschutzkonzept kann eigentlich nur funktionieren, wenn es partizipativ gestaltet ist.
Und ja, Milena, da kommt jetzt deine Arbeit mit ins Spiel, glaube ich. Du hast ja ein Tool entwickelt.
[Milena]
Genau.
[Kathi]
Was kann man sich denn unter Partizipation im Gewaltschutz vorstellen?
[Milena]
Genau, also Partizipation erst mal generell bedeutet eben Mitbestimmung, Einbezug, auch die eigene Meinung sagen, mitreden, mitentscheiden dürfen. Und Partizipation im Gewaltschutz ist, wie du eben gesagt hast oder wie es auch Mira gesagt hat, ganz grundlegend, weil es eben darum geht, Gewaltschutz betrifft alle AkteurInnen in einer Einrichtung zum Beispiel und deshalb eben auch die Menschen mit Behinderung in diesem Kontext selbst. Und Partizipation ist aktuell einfach noch viel zu wenig vorhanden und umgesetzt, gerade im Gewaltschutz.
Also da gibt es auch Studien, die das belegen aus den letzten Jahren. Und Partizipation im Gewaltschutz bedeutet aber, dass Menschen, hier jetzt Menschen mit Behinderungen, in den Prozess der Gewaltschutzkonzeptentwicklung einbezogen sind. Das heißt also konkret bei der Entwicklung von einem Gewaltschutzkonzept oder eben auch bei konkreten Maßnahmen, zum Beispiel der Prävention oder der Intervention durch Ansprechpersonen.
Das heißt also, dass Menschen mit Behinderung in diesen Prozess mit reingenommen werden. Das bedeutet eben Partizipation im Gewaltschutz.
[Kathi]
Und wie bist du dann bei der Entwicklung vorgegangen, bei der Entwicklung des Tools? Da hast du ja auch direkt schon Menschen mit Behinderung einbezogen.
[Milena]
Genau, also wir haben eben eine partizipative beziehungsweise zu manchen Teilen auch partizipationsorientierte Forschung gemacht und haben ein Risikoanalyse-Tool gemeinsam entwickelt. Risikoanalyse ist eben ein Teil von Gewaltschutzkonzepten und wir haben uns damit beschäftigt, mit nochmal dem Personenkreis von Menschen mit komplexen Behinderungen, also zum Beispiel Personen, die eben nicht verbalsprachlich sprechen, weil das ja doch mal eine Personengruppe ist, die nochmal mehr, sag ich mal, hinten runterfällt bei der Partizipation beim Gewaltschutz und die aber noch vulnerabler ist. Und da haben wir uns eben überlegt, wie kann man denn diese Personengruppe mehr mit einbeziehen?
Und deshalb haben wir gemeinsam ein Risikoanalyse-Tool entwickelt. Das war sozusagen ein Beobachtungstool, in dem verschiedene Fragen und Themen festgehalten sind. Und mit diesem Tool kann man sich in eine Wohngruppe setzen und kann dann eben schauen oder Beobachtungen anstellen und schauen, wo gibt es denn hier Risiken und wo gibt es Chancen?
Und dieses Tool, jetzt bin ich kurz so übergegangen zu dem Tool selber, aber dieses Tool haben wir eben gemeinsam entwickelt. Also das heißt eine Gruppe von Menschen mit Behinderungen und ich. Und hierzu sind wir eben partizipativ vorgegangen.
[Kathi]
Erzähl gerne, wie du das Tool dann aufgebaut hast oder wie sich das aus der Zusammenarbeit dann ergeben hat, wie das aufgebaut sein muss.
[Milena]
Genau, also erst mal war ganz wichtig für die Zusammenarbeit auch, das würde jetzt auch während dieser Podcast-Folge immer wieder deutlich, erst mal das Informieren und das Sensibilisieren. Das heißt, wir haben erst mal auch ganz viel darüber gesprochen. Was ist denn Gewalt?
Was bedeutet Gewaltschutz? Und wir haben uns kennengelernt. Also das war ganz wichtig in unserer Gruppe, dass wir wirklich auch einen sicheren Raum haben.
Das ist so das A und O für jeglichen partizipativen Prozess, dass sich alle wohlfühlen, dass auch klar ist, wie gehen wir miteinander um? Was sind unsere Umgangsformen? Was tun wir auch bei Belastungen?
Und so sind wir dann eingestiegen und haben eben diese gute Gruppenatmosphäre auch geschaffen. Und dann ging es eben konkreter darum, na ja, wie kann denn eben dieses Tool aussehen? Und dazu mussten wir auch noch mal sozusagen oder haben wir noch mal Erfahrungen gesammelt und haben eine Einrichtungsbegehung gemacht.
Das heißt, wir haben uns als Gruppe eine Wohngruppe angeschaut, in der Menschen mit komplexen Behinderungen leben, sodass wir einfach so ein bisschen ein Gefühl dafür bekommen haben, ah, was könnten hier denn wichtige Themen sein? Und dann haben wir ganz viel darüber gesprochen. Und die Menschen mit Behinderungen, mit denen ich da geforscht habe, das sind ja auch Erfahrungsexpertinnen.
Das heißt, sie haben eben Erfahrungen darin, wie es ist, in ambulanten und stationären Wohngruppen zu wohnen. Und so haben wir dann darüber gesprochen, was sind denn auch ihre Erfahrungen? Wo erleben sie Gewalt?
Wo erleben sie auch Risiken? Oder wo erleben sie auch Dinge, die gut sind in den Wohngruppen? Und so haben wir dann tatsächlich ganz viel offen darüber gesprochen, auch mit verschiedenen Arbeitsblättern.
Also wir hatten da verschiedene Materialien. Und dann haben wir eben dieses Tool entwickelt. Und die Struktur des Tools, die ist eben so, dass das quasi eine ganz große Tabelle ist.
Und da gibt es verschiedene Spalten. Und in der ersten Spalte zum Beispiel stehen die Themenbereiche. Das waren zum Beispiel Räumlichkeiten, Regeln, Mitbestimmung, der Umgang miteinander.
Und dann folgte zu jedem Thema folgte eine Fragestellung. Also zum Beispiel haben die BewohnerInnen ein eigenes Zimmer? Wie wird miteinander kommuniziert?
Wie können BewohnerInnen mitbestimmen? Und dann haben wir quasi in dieser Tabelle diese Fragen auch beantwortet. Da war dann noch eine Spalte mit Beispielen oder einfach Raum für weitere Beobachtungen.
Und so haben wir uns dann eben in diese Wohngruppe gesetzt und diese Beobachtungen gemacht. Haben auch noch angekreuzt in der Tabelle, was wir quasi für ein Gefühl haben, weil es ja auch eine Risikoanalyse ist. Also ist es jetzt ein Risiko rot oder so ein Mittelbereich gelb oder eben eine Chance, also was, was gut läuft und dann war es grün.
Und so war quasi die Struktur von diesem Tool, die wir dann so gemeinsam entwickelt und auch erprobt haben. Genau, also was mir in diesem Kontext noch wichtig zu betonen ist, nochmal zur Differenzierung und auch der Transparenz halber ist, dass ich mit Menschen mit Behinderungen zusammen geforscht habe. Und diese Forschung und eben auch die Entwicklung, das verlief partizipativ.
Und die Beobachtungen, die wir gemacht haben, die waren natürlich keine Partizipation. Wenn ich jemand oder eine Wohngruppe oder Personen beobachte, dann schließt es nicht die Partizipation ein. Und das ist nochmal wichtig, das zu sagen und das auch transparent zu machen, einfach auch im Sinne von, dass keine Alibi-Partizipation stattfindet.
Und wir haben eben diesen Weg der Beobachtungen gewählt in Bezug auf diese Personengruppe von Menschen mit komplexen Behinderungen, weil wir eben von außen ja an die Einrichtung herangetreten sind. Heißt, wir hatten auch keine Beziehung zu den Menschen mit komplexen Behinderungen. Und das ist ja da sehr wichtig, wenn es darum geht, wie kann man zum Beispiel Mimik und Gestik deuten.
Und das konnten wir nicht. Deshalb haben wir den Weg über Beobachtungen gewählt. Und wohlwissend, das bedeutet keine Partizipation, aber es ist eben ein erster Zugang zu der Personengruppe, also zur Lebenswelt der Personengruppe.
Und hier stellt sich natürlich noch die Frage, das besagt auch die Literatur,
Wie kann man wirklich diese Personengruppe einbeziehen, wirklich im Sinne der Partizipation und nicht durch Beobachtungen. Aber durch die Beobachtungen konnten wir eben einen sehr wichtigen Zugang herstellen zur Personengruppe.
[Kathi
War dir bei der Entwicklung irgendwas besonders wichtig?
[Milena]
Ja, was tatsächlich sehr, sehr wichtig war, war wirklich dieser Umgang mit Macht. Wir haben da jetzt ja auch schon viel darüber gesprochen heute. Und das hat sich wirklich gezeigt in dieser partizipativen Zusammenarbeit, wie wichtig dieser Umgang mit Macht ist.
Also auch von meiner Seite aus, dass mir eben klar war, ich bin, ich habe die Rolle von einer Begleiterin, von einer Unterstützerin. Aber es geht jetzt nicht um das, was ich denke, was ich machen möchte, sondern es geht wirklich darum, dass ich einen Schritt zurücktrete und dass ich auch bereit dazu bin, von meiner Macht abzugeben. Also ich habe mich da kontinuierlich reflektiert und habe eben gemerkt, es ist so wichtig, diese Macht eben an die Menschen zu geben, weil sie die Expertinnen sind, weil sie wissen, wie ist es, in einer Wohngruppe zu leben?
Welche Perspektiven haben sie eben darauf? Und das war eben ganz wichtig, so dieser Umgang mit Macht und eben auch diese kontinuierliche Reflexion. Genau.
Und was auch noch wichtig war in diesem ganzen Prozess, war auch so diese Rolle von, wer ist denn auch noch beteiligt in diesem Prozess? In der Einrichtung, in der wir das gemacht haben, gab es zum Beispiel eine Gewaltschutzbeauftragte oder gibt es eine Gewaltschutzbeauftragte? Und sie ist sehr, sehr engagiert und hat mir ganz viele Türen geöffnet, dass ich überhaupt einen Zugang bekommen habe.
Und das war auch was, was sich gezeigt hat, wie wichtig diese diese Zugänge eben auch sind in diesem ganzen Vorgehen und eben auch, wie wichtig es ist, zum Beispiel auch die Wohngruppe mit einzubeziehen, weil wir eben auch gemerkt haben, wir haben aufgeklärt, wir haben informiert, was machen wir da? Warum? Aber da waren auch Widerstände da und da war auch so ein gewisses Misstrauen da, so jetzt kommt da jemand in unsere Wohngruppe und beobachtet uns.
Und geht es darum, dass ich irgendwie dann, dass es Konsequenzen gibt, wenn ich was falsch mache. Und da war auch ganz wichtig, wirklich zu sagen, es geht nicht um ein Richtig und Falsch, sondern es geht um eine reine Beobachtung und um ein Identifizieren auch von strukturellen Faktoren. Und das war auch ganz wichtig in dieser ganzen Erprobung dann auch von dem Tool.
[Kathi]
Ja, mega spannend. Also du hast nicht nur mit den Menschen mit Behinderung gesprochen, sondern auch mit denen, mit dem ganzen Umfeld oder wahrscheinlich dann?
[Milena]
Genau. Also ich habe vordergründig mit den Menschen mit Behinderung, also mit meiner Forschungsgruppe gesprochen und diskutiert. Und so haben wir dieses Tool entwickelt und bei der Beobachtung selber haben wir eigentlich nicht gesprochen, weil es ja darum ging, wirklich Beobachtungen zu machen. Also es ging uns nicht darum, mit den BewohnerInnen oder mit den Fachkräften zu sprechen und zu sagen, wie erlebt ihr oder wie erleben Sie hier die Arbeit oder die Wohngruppe, sondern es ging wirklich rein um diesen Blick von außen.
Das muss man natürlich auch reflektieren, weil das ja auch Beobachtungen sind ja auch subjektiv. Und es ist auch eine Momentaufnahme, das ist ganz klar. Und das hat uns aber ermöglicht, einfach von diesem Blick von außen in die Wohngruppe zu schauen und wirklich auch zu sehen, okay, welche Zusammenhänge gibt es denn hier oder welche Strukturen?
Also wir haben zum Beispiel dann einen Schichtwechsel beobachtet und wir haben nicht mit den Fachkräften gesprochen, aber wir haben gesehen, okay, was verändert sich denn jetzt, wenn unterschiedliche Fachkräfte dann in die Wohngruppe kommen? Und da haben wir zum Beispiel dann gesehen, dass die Art und Weise, wie Menschen mit einbezogen wurden, auch von den Fachkräften abhängig war. Und das war eine sehr, sehr spannende Erkenntnis tatsächlich und appelliert einfach nochmal so sehr daran an die die fachliche Haltung auch von Fachkräften.
Genau und somit haben wir eben nicht mit Menschen geredet, sondern haben beobachtet, aber eben auch die BewohnerInnen quasi beobachtet sozusagen die Fachkräfte und haben so dann unterschiedliche Personengruppen auch quasi einbeziehen können in unsere Analyse.
[Kathi]
Ja, mega spannend, auch wie personenabhängig das Ganze ist, aber auch wenig verwunderlich, weil es geht ja eigentlich nur um Menschen dort. Also die haben wir den ganzen Tag miteinander zu tun. Wenn jetzt ein inklusives Wohnprojekt sagt, okay, wir brauchen ein Schutzkonzept.
Wie fängt man da jetzt überhaupt an?
[Mira]
Also man startet auf jeden Fall mit der Risikoanalyse, die kann dann zum Beispiel so aussehen, wie Melina das gerade beschrieben hat. Oder das kann auf jeden Fall ein Teil der Risikoanalyse sein. Ich fände es auch ganz spannend, wenn du gleich vielleicht noch was dazu sagst, wie man an dieses Tool drankommt, ob und wie man sich von dir vielleicht auch begleiten lassen kann, wenn man auf dem Weg ist, ein Schutzkonzept erstellen zu wollen und sich mit den Risiken und dem Potenzial der eigenen Wohnform auseinandersetzen möchte.
Genau, also man startet auf jeden Fall damit, sich erst mal anzupacken. Wovor wollen wir denn eigentlich schützen? Und was läuft schon gut?
Was wollen wir unbedingt sichern? Was wollen wir beibehalten? Und dafür hilft es, denke ich, auf jeden Fall, wie du gerade schon beschrieben hast, wenn man einen Blick von außen bekommt, weil man sonst, denke ich, immer irgendwie das Risiko läuft, doch durch Betriebsblindheit, Strukturen zu übersehen, Strukturen so weiterzuführen.
Und auch wenn man das nicht möchte in so einem Jahr, das haben wir schon immer so gemacht, meinetwegen kleben zu bleiben.
[Kathi]
Genau, also da fängt man jetzt quasi an, wenn man ein Schutzkonzept erstellen will. Es geht aber wahrscheinlich noch um viel mehr, also eben um Prävention und so weiter zum Beispiel, oder?
[Mira]
Ja, genau. Wenn man diese Risiken und Chancen für sich festgestellt hat, dann würde man weitergehen und gucken, wie können wir denn diese Risiken, die wir haben, so präventieren, dass es gar nicht erst zu Übertreffen, zu Grenzüberschreitungen kommt. Da können dann verschiedene Präventionsmaßnahmen beschlossen werden in ganz verschiedenen Bereichen, von Aufklärung, Schulungsangeboten über regelmäßige Austauschformate und so.
Und es sind dann so ganz praktische Sachen, die man in den Alltag integrieren sollte, um einfach sicherzustellen, dass man und dass man so zusammenlebt, wie man das möchte, um zu versuchen, zu verhindern, dass es überhaupt zu Gewaltvorfällen kommt. Natürlich muss man sich auch damit auseinandersetzen, wie würde man intervenieren? Also wie würde man damit umgehen, wenn es eben doch zu Gewalt kommt?
Weil, also ich denke, die Zahlen, die wir eben schon genannt haben, zeigen, dass es einfach so häufig vorkommt, dass man auf keinen Fall die Augen davor verschließen sollte, dass es eben doch vorkommen kann. Wie wollen wir damit umgehen und auch wie wollen wir mit verschiedenen? Also es ist was anderes, wenn ich jetzt was beobachte und das Gefühl habe, das macht mir ein bisschen Bauchschmerzen, aber eigentlich ist es gar nicht schlimm, aber auch darauf sollte man reagieren, als wenn man jetzt sieht, okay, ich weiß nicht, da wurde jetzt jemand geschlagen und ich habe es gesehen und ich muss darauf reagieren.
Also diese ganze Bandbreite an ich habe ein kleines, ungutes Bauchgefühl bis hin zu ich habe einen definitiven Gewaltfallen beobachtet, muss bearbeitet werden und muss sich angeguckt werden. Wer kann und soll und muss hier drauf wie reagieren und worauf einigen wir uns, wie tatsächlich reagiert werden soll, um ja unsere Ziele, unsere Gewaltschutzziele zu ermöglichen? Und dann natürlich auch Maßnahmen zur Implementierung, zur Rehabilitation, also Rehabilitation meint, wenn es einen Verdacht gab, wie können wir den dann gut wieder aufarbeiten?
Wie können wir vielleicht auch, wenn jemand falsch verdächtigt wurde, wenn eine Situation vielleicht auch zu groß eingeschätzt wurde, wie können wir sicherstellen, dass wir weiterhin gut zusammenleben können, ohne dass jemand Angst hat vor falschen Verdächtigungen oder so? Wie können wir aber auch sicherstellen, dass in Zukunft weiterhin Dinge gemeldet werden? Wie können wir gucken, dass vielleicht auch Leute, die nicht konkret betroffen waren, trotzdem das Gefühl haben, dass sie gehört werden, dass sie als Teil der Gemeinschaft begriffen werden und ja anerkannt wird, dass sie es ja auch mitbekommen haben.
Und genau Maßnahmen zur Implementierung ist all das, damit es eben nicht in der Schublade landet. Was tun wir, damit der Gewaltschutz wirklich gelebt wird? Und was tun wir damit, wir am Ende ein lebendiges Gewaltschutzkonzept haben und das Gewaltschutzkonzept nur der Rahmen ist und nicht etwas ist, was man aus der Schublade holt, wenn es dann geknallt hat und in der Zwischenzeit aber niemand dran gedacht hat.
[Kathi]
Ja, voll gut, dass generell da auch ein offenes Klima herrschen muss einfach, dass man sich auch traut, irgendwie überhaupt was zu thematisieren, aber ohne zu verurteilen. Das ist, glaube ich, ein sehr, sehr schmaler Grat und erfordert wirklich Fingerspitzengefühl und vielleicht auch Erfahrung und auch ein gutes Konzept. Einfach.
[Milena]
Ja, genau. Und was ich eben da auch noch hinzufügen wollen würde, Kathi, weil du ja auch gefragt hast, wie fängt man denn an mit diesem Prozess von der Gewaltschutzkonzeptentwicklung? Eben auch mit diesem Blick, wie fängt man an mit der Partizipation?
Auch da ist es einfach ganz wichtig, dass erstmal ein Raum da ist für Austausch und für Sensibilisierung. Also das heißt, dass erstmal auch an die Menschen mit Behinderungen eben auch oder dass auf die Menschen mit Behinderungen zugegangen wird und gesagt wird, hey, wir beschäftigen uns gerade mit dem Thema Gewaltschutz, also dass das auch nicht auf einer Leitungs- oder Fachkräfteebene bleibt und dass es dann eben diesen Raum gibt für Austausch. Wir erleben das zum Beispiel, wir machen inklusive Schulungen in Einrichtungen zum Thema Gewalt und Gewaltschutz.
Und da erleben wir, dass es wirklich so wichtig ist, erstmal diesen Raum zu öffnen für, um was geht es denn überhaupt und wie sprechen wir darüber? Und dann merkt man wirklich, dass da wie so, also ja, sich so richtig ein Raum eröffnet, bei dem sich die Menschen dann plötzlich auch öffnen und die Menschen auch teilen, was sie denn überhaupt erleben. Und ich glaube, das ist auch so eine ganz grundlegende Voraussetzung für oder so ein ganz basaler erster Schritt im Gewaltschutz, wirklich die Menschen zusammenzuholen und darüber zu sprechen.
[Mira]
Ja, ich habe eine Idee, Erfahrung gemacht. Ich glaube, dass, wenn man so an Gewaltschutz denkt, dann hat es auch was von einem Vorwurf, wenn man nicht, also man muss erst mal alle mit ins Boot holen und sagen, nee, das geht uns alle an. Und Gewalt passiert unabhängig von der Intention und nicht, wenn ich für mich weiß, okay, ich will ja gar nicht überdreifig werden und ich glaube, mein Mitbewohner will das auch nicht.
Deswegen haben wir damit nichts zu tun, weil wir sind ja keine Täter, in Anführungsstrichen. Wenn man erstmal diesen Gedankensprung gemacht hat, nee, wir alle haben Grenzen. Unsere aller Grenzen sehen sehr unterschiedlich aus und wir alle wollen etwas dafür tun, dass die gewahrt werden, dann macht das total was.
Dann macht das total was mit dem Gespräch, mit der Offenheit und mit der Möglichkeit, sich darüber auszutauschen. Ich finde, es braucht echt so einen Wechsel von der Perspektive, damit es eben nicht mehr ein Tabu ist und damit man sich nicht mehr unangenehm fühlt, wenn man darüber spricht.
[Kathi]
Ja, das ist ja alles mega komplex über das, was wir jetzt gerade gesprochen haben. Deswegen hast du, Mira, Materialien erstellt für inklusive Wohnprojekte.
[Mira]
Ja, das Ergebnis von diesem Jahr Resilienzprojekt zum Thema Gewaltschutz ist ein Leitfaden für inklusive Wohnformen, an dem man sich, soll so eine Stütze sein, um sich daran langzuhangeln, um alles zu bedenken, wenn man selbst gerade entweder in der Gewaltschutzerstellung ist oder auch wenn man dabei ist, sein Gewaltschutzkonzept zu überarbeiten, wenn man sich einfach mal reflektieren möchte, welche, wie sinnvoll sind denn unsere Gewaltschutzstrukturen, kann man diesen Leitfaden zur Hand nehmen und findet hoffentlich alles, was man bedenken sollte. Es sind keine direkten Handlungsanweisungen. Wir haben versucht, es so allgemein zu halten, dass alle Wohnformen, so unterschiedlich gestaltet, wie sie sein können, ihn nutzen können und gleichzeitig zumindest alle Themen, an die man denken sollte, darin benannt sind.
Das ersetzt natürlich nicht, sich dann trotzdem noch mal von externen Hilfen zu holen, gerade zu Themen wie, dann steht da vielleicht ja, bedenkt das und das. Aber man fragt sich, boah, wie kann ich das denn jetzt partizipativ gestalten? Wenn da kurz drüber steht, ich soll es partizipativ machen.
Deswegen auf jeden Fall auch der Appell, holt euch zusätzlich, man sollte sich zusätzlich extern Beratungen holen. Aber ich denke, es kann eine hoffentlich sehr umfangreiche Stütze sein, um am Ende an all die komplexen Themen gedacht zu haben.
[Kathi]
Die Handreichung zu Gewaltschutz könnt ihr euch jetzt auf unserer Website runterladen unter www.wohnsinn.org/gewaltschutz
Ein sehr hilfreiches Tool ist ja das von dir, Milena. Ist das noch in der Entwicklung oder kann man das auch schon tatsächlich in der Praxis nutzen?
[Milena]
Also tatsächlich ist es nicht mehr in der Entwicklung. Die Forschung ist abgeschlossen, allerdings ist der Veröffentlichungsprozess nur nicht abgeschlossen. Also da sind wir gerade dabei, einmal die Forschung selber zu veröffentlichen.
Und wir schreiben gerade auch als Forschungsteam an einem Handbuch. Das wird Anfang 2025 veröffentlicht. Und da geht es quasi nochmal ganz genau darum, was braucht es denn für die Verankerung von Gewaltschutzkonzeptionen?
Und da wird dann eben auch in großer Part nochmal das Thema Risikoanalyse, das Tool Partizipation sein. Und das ist eben dann auch sehr praxisnah aufbereitet. Genau.
Und das wird, wie gesagt, Anfang nächsten Jahres veröffentlicht. Und ansonsten bieten wir, wie gesagt, auch inklusive Schulungen an in Einrichtungen. Das heißt, dass wir einen Tag zusammen gestalten und eben mit Menschen mit und ohne Behinderungen über das Thema Gewalt und Gewaltschutz sprechen.
Und da kommen wir in Einrichtungen und genau leiten somit quasi ein. Hey, was braucht es denn wirklich für diese partizipative Zusammenarbeit im Gewaltschutz? Und haben das auch wirklich als einen sehr guten Türöffner erlebt in diese ganzen Prozesse von Wir gehen jetzt diesen Weg los von Gewaltschutz und von partizipativen Gewaltschutz.
Genau. Und da kann man gerne auf uns zukommen. Genau.
Und wie gesagt, da sind wir. Ja, genau.
[Kathi]
Ja, super. Das ist so ein mega wichtiges Thema und ich finde es total cool, dass ihr da so praxisnah, also dass ihr Forschung macht und das dann auch wirklich zur Verfügung stellt, dass das Leuten in der Praxis wirklich dann auch hilfreich sein kann. Das ist einfach sehr wichtig.
Ja, absolut. Dann möchte ich mich ganz herzlich bei euch beiden bedanken für unser Gespräch. Für die Einblicke, die ihr gegeben habt und genau.
Ganz viel Erfolg weiterhin mit euren Projekten.
[Mira]
Ja, danke dir. Danke, dass wir da sein durften.
[Milena]
Ja, vielen Dank für die Einladung.
Neuer Kommentar